Vertikale Freiheit – Positionspapier zur programmatischen Erneuerung der FDP
4. März 2025
IIn diesem Blogpost findet sich ein Positionspapier (PP) von jungen und zukunftsorientierten FDP’lern mit dem Titel ‚Vertikale Freiheit‘, für das noch bis 31.03.25 die Erstunterzeichnung individuell möglich ist. Bis zum Bundesparteitag soll ein Antrag entwickelt werden. Liste der Unterzeichner:
https://vertikale-freiheit.de/
Freiheit von Individuen nicht nur horizontal, sondern auch vertikal sichern
„Horizontale Freiheit“ ist die Freiheit der heute Lebenden, also der Menschen im Hier und Jetzt. Diese Dimension des Liberalismus wurde von Denkern und Denkerinnen wie John Locke, Baron de Montesquieu, Immanuel Kant, Adam Smith, John Stuart Mill, Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, sowie Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouges (beide in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frauen), und vielen anderen ausbuchstabiert. Die Freiheit des Einzelnen endet dort – so das Credo – wo die Freiheit anderer Zeitgenossen beginnt. In den Worten von Artikel 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.“ Dies bezieht sich sowohl auf die von Isaiah Berlin popularisierte Unterscheidung von Freiheit „vor dem Staat“ (negative Freiheit) als auch „die Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung“ (positive Freiheit).
Entscheidend ist nun, dass dieses Freiheitsverständnis von Denkern, die vor 1990 sozialisiert wurden, keine Freiheitskonflikte auf der Zeitachse, also zwischen heutigen und künftigen Generationen, thematisiert. Diese Lücke füllt die Idee der „vertikalen Freiheit“, die bedeutet, dass der Gebrauch von Freiheitsrechten heutiger Zeitgenossen dort seine Grenze findet, wo die Freiheit künftiger Menschen beeinträchtigt wird. Dies impliziert zum Beispiel, dass die Schuldenbremse nicht abgeschafft werden darf. Aber es impliziert auch eine grundlegend andere Klimapolitik, als sie die FDP im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 stehen hatte.
Das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Es war das Bundesverfassungsgericht, welches in seinem viel diskutierten Klimaurteil vom 24. März 2021 dieses Konzept der ‚vertikalen Freiheit‘ im Politikfeld Klimapolitik ausbuchstabierte.[1] Die Verfassungsrichter argumentierten, dass die Klimaschutzziele, die sich Deutschland zum damaligen Zeitpunkt nur bis zum Jahr 2030 gesetzt hatte, dazu führen würden, dass das restliche Treibhausgasbudget für die weiteren Jahre zu gering sei. Folglich müssten, wenn man die Pariser Klimaziele noch erreichen wollen würde, nach 2030 radikale Freiheitsbeschneidungen eingeführt werden – für die dann lebenden Menschen. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, die Freiheit für die heute Jungen durch ausreichenden und rechtzeitigen Klimaschutz sichern. Als Reaktion novellierten die damals regierenden Parteien CDU/CSU und SPD das Klimaschutzgesetz. Dabei zogen sie das Ziel der THG-Neutralität um fünf Jahre vor, von 2050 auf 2045, wobei dies mit einem entsprechenden Reduktionspfad unterlegt wurde.
Liberalismus im Zeitalter der Erderwärmung
Diese Idee der vertikalen Freiheitssicherung ist nicht nur auf die Finanzpolitik beschränkt, sondern sie ist unteilbar. Und sie ist eine zentrale Komponente eines Liberalismus, der im 21. Jahrhundert erfolgreich sein will. Erst seit dem Erscheinen des ersten IPCC-Berichts 1990 kann von einem „gesicherten Klimawissen“ bei Regierungen gesprochen werden. Liberale Theorien, die vor 1990 entstanden, können daher diese empirischen Fakten nicht einbezogen haben. Die wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden erst in den letzten 30 zusammengetragen. Mill kannte keinen Meeresspiegelanstieg, Kant kannte keine Klimagase – niemand kann ihnen vorwerfen, dass sie darauf nicht in ihren Schriften eingingen. Ludwig von Mises schrieb zum Verhältnis von Wissenschaft und Liberalismus (1927): „Der Liberalismus ist keine abgeschlossene Lehre, er ist kein starres Dogma; er ist das Gegenteil von all dem: Er ist die Anwendung der Lehren der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben der Menschen.“
Die Wissenschaft warnt zu Recht immer lauter vor Zeitverzögerungen beim Klimaschutz. In Bezug auf Klimaschutz sollte das Zitat von Mises für die liberale Partei in Deutschland, die FDP, heißen: „Wir verwässern die Klimaziele nicht, sondern nehmen die Klimakrise ernst!“ Freiheit braucht eine Lösung der Klimakrise: Wenn die planetaren Grenzen respektiert werden, dann kann die Freiheit dauerhaft gewährleistet werden. Diese Überzeugung hatte die FDP in früheren Programmen durchaus vertreten, insofern fordert dieses Positionspapier auch eine Rückkehr zu Bewährtem.[2] Leider wurden jedoch im jüngsten Bundestagswahlprogramm der FDP zwar die Kosten der Transformation, nicht jedoch die Gefahren und Kosten des ungebremsten Klimawandels behandelt. Es war ein Irrweg, im Wahlprogramm zur Bundestagswahl das Klimaziel 2045 zur Disposition zu stellen (das hatten ansonsten nur AfD und BSW getan). Das Klimaziel eignet sich nicht für einen Kulturkampf. Hier brauchen wir einen Konsens aller Parteien der Mitte. Über den Weg und die Zwischenschritte bis 2045 kann dagegen sehr wohl gestritten werden.
‚Policy without Politics‘
Nun hängen Zieldatum, Reduktionspfad und Maßnahmenkatalog zusammen. Wenn man sich ehrlich macht, dann führt das Akzeptieren von „2045“ dazu, dass man auf einen Mix von CO2-Preis und von Regeln/Gesetzen setzen muss. Der Zertifikate-Handel ist dann nicht mehr der allein seligmachende Lösungsansatz. Denn durch die Verknappung von CO2-Zertifikaten werden langlebige CO2-emittierende Produkte (z.B. Öl-Heizungen) später unbezahlbar. Dies wiederum führt de facto nicht zu der rational-klugen Lösung, dass Konsumenten diese Güter heute aussortieren. Das ökonomische Steuerungsinstrument wird von den Konsumenten vielmehr später, nachdem sie klimaschädliche Investitionsgüter getätigt haben (‚sunk costs‘), schlicht abgeschafft werden. Es ist die gegenwartsorientierte Politik, die die Rahmenbedingungen für den CO2-Preismechanimus setzt. Und nach jeder Wahl werden die Karten neu gemischt. Wer garantiert denn, dass nicht bei den nächsten Wahlen eine neue rechts- oder linkspopulistische Mehrheit den CO2-Preismechanimus außer Kraft setzt? Oder das Zieldatum auf 2055 oder 2060 verschiebt? Deswegen das Plädoyer des Bundesverfassungsgerichts für rechtzeitigen Klimaschutz.
Deutschland ist nicht alleine
Deutschland ist nicht das einzige EU-Land, das schon vor 2050 klimaneutral werden will. Auch z.B. Schweden, Finnland und Dänemark verankerten 2045 in ihrer nationalen Gesetzgebung. Der Grundsatz der ‚gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung‘ ist ein Grundprinzip der Klimapolitik seit Rio 1992. Innerhalb von Deutschland haben deswegen auch einige Bundesländer beschlossen, früher klimaneutral werden zu wollen als andere. Bisher war, auf Deutschland insgesamt bezogen, das Ziel von Netto-Null im Jahr 2045 der Konsens der politischen Mitte. Gerade beim Klimaschutz brauchen Industrie und Gesellschaft Verlässlichkeit. Dem steht nicht entgegen, dass sich die FDP dafür einsetzen sollte, dass im Sinne der vertikalen Freiheit die ganze EU netto-null Emissionen im Jahr 2045 anstrebt. Und auch andere Kontinente. Wenn aber die Langsamsten das Tempo vorgeben, dann wird die Welt am Klimaschutz scheitern. Auch wenn andere Teile der Welt nicht mitziehen, sollten D und EU den Weg zur Dekarbonisierung so schnell wie möglich beschreiten. Statt einem Schlingerkurs brauchen wir eine Bündelung der Kräfte und den Einsatz aller verfügbaren Techniken, wie z.B. auch CCS und CDR. Wenn die Transformation erst mal vollzogen ist, werden kommende Generationen weniger abhängig von Petro-Staaten, und in vieler Hinsicht freier, sein. Die Idee der vertikalen Freiheit ist also bestens mit dem Liberalismus, aber nicht mit dem libertären Weltbild kompatibel. Es gibt keine Freiheit der heute Lebenden, beliebig viel CO2 auszustoßen. Freiheitsauslebung heute darf nicht zu Freiheitsverhinderung morgen führen.
Warum wir gegen die Grünen sind
Unsere programmatische Neuausrichtung in der Klimapolitik bedeutet auch, dass die FDP ihr Verhältnis zu den Bündnisgrünen neu kalibrieren muss. Nicht wegen deren Klimaziel 2045 sind sie unser Gegner, den wir politisch attackieren müssen, sondern z.B. wegen ihrem Umgang mit Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Die Freiheit der Wissenschaft, wie im Grundgesetz und in unserer Landesverfassung verankert, ist kein Selbstzweck. Sie sichert Innovation, akademisches Selbstverständnis und exzellente Forschung an Hochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen. Aufgabe der Politik ist es, diese Freiheit zu schützen und einer schleichenden Aushöhlung entschieden entgegenzutreten. Wissenschaftsfreiheit wird durch den Zeitgeist dort eingeschränkt, wo empirische Daten nicht mehr präsentiert werden dürfen und Vorträge gestört oder abgesagt werden. Fälle sind bekanntgeworden u.a. bei der These, dass es beim Menschen nur zwei biologische Geschlechter, männlich und weiblich, gibt, und die Geschlechtsidentität maßgeblich durch das biologische Geschlecht geprägt wird. Oder dass sich Unterschiede in den Kriminalitätsraten verschiedener Einwanderergruppen primär auf die Kultur in deren Herkunftsländern zurückführen lassen. Im Diskursraum Hochschule muss jede Meinung möglich sein, sofern sie nicht durch Fakten bereits widerlegt ist oder den Gesetzen widerspricht. Hochschulen sollen Orte des offenen Dialogs bleiben, wobei Hassrede, Diskriminierung und Antisemitismus selbstredend ausgeschlossen sein müssen. Gleichzeitig darf die Wissenschaftsfreiheit nicht durch ‚Political Correctness‘, haltlose Vorwürfe oder überzogene moralische Vorstellungen beeinträchtigt werden, weder von Seiten linker Identitätspolitiker noch von Seiten rechtspopulistischer Ideologen.
[1] Vom BVerfG „intertemporale Freiheitssicherung“ genannt, vgl. Bundesverfassungsgericht (2021a): Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270; Bundesverfassungsgericht (2021b): Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich. Pressemitteilung vom 29.4.2021. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
[2] In den Wiesbadener Grundsätzen (1997) heißt es in Teil IV (Das Prinzip Verantwortung für die nächsten Generationen): „Die Nutzung erneuerbarer Ressourcen findet ihre Grenze in der Regenerationsrate dieser Ressourcen, (…)“ Das gilt sinngemäß auch für Senken, insbesondere für die Fähigkeit der Atmosphäre, Treibhausgase zu absorbieren.