Welche Partei?
30. Januar 2022
Von den Parteien der politischen Mitte (und andere schließe ich von vorneherein aus) gibt es keine, mit der ich mich 100 Prozent identifizieren kann: die Schnittmenge mit meinen Werten und Positionen ist mal größer, mal kleiner. Für mich ist Generationengerechtigkeit in zwei Politikfeldern ein ganz wichtiger Maßstab politischen Handelns: Klimapolitik und Finanzpolitik. Ich sehe mich auf der Seite der nachrückenden Generationen, der Zukunft, des Fortschritts. Mein Wahlspruch ist „The best way to predict the future is to create it.” Bei dieser Weltanschauung kommen natürlich manche Parteien mehr und andere weniger in Frage.
Die CDU?
Die CDU heißt ja ausgeschrieben „Christlich Demokratische Union“. Ich bin aber religiös unmusikalisch. Ein Agnostiker. Was soll ich in einer Partei, in der möglicherweise bei entscheidenden programmatischen Debatten jemand mit Bibelstellen oder mit einer piefigen Sexualmoral argumentiert wird?
Die CDU bezeichnet sich selbst als konservative Partei. Der Begriff konservativ kommt ja aus dem Lateinischen – ‚conservare‘ heißt bewahren. Das ist nicht so mein Ding. Natürlich müssen wir das Bewährte bewahren, aber die Welt ändert sich derzeit schnell und wir müssen auch offen sein für Neues. Und wenn nötig, dann das, was sich nicht bewährt hat, hinter uns lassen.
Jedes zweite Parteimitglied ist bei der CDU über 60 Jahre alt. Noch ein Gegenargument, dort einzutreten, wenn man wie ich eher fortschrittsorientiert ist.
Zudem ist die machtverwöhnte CDU/CSU am stärksten dagegen, dass auch Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen (so wie der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung). Dieses Zwei-Klassen-System führt aber zu einer Kluft zwischen Regierenden und Regierten und zu Politikverdrossenheit. Auf die gesetzliche Rentenversicherung kommen mit dem Ruhestandseintritt der Babyboomer-Generation schwierige Zeiten zu. Hier ist es wichtig, dass „die Steuerleute mit an Bord sind.“ Bisher ist es so, dass die Abgeordneten von Beitragssatzerhöhungen oder Leistungskürzungen, die der Bundestag beschließt, nicht selbst betroffen sind. Dies führt zu legitimer Kritik in der breiten Bevölkerung. Dadurch leidet das Ansehen der Bundestagsabgeordneten und der soziale Frieden.
Die SPD?
Die Grundwerte der SPD sind mir erst mal sympathisch: Solidarität, Füreinander-da-sein, Gleichberechtigung – das alles ist wichtig, beim Bergsteigen wie auch im Rest des Lebens.
Aber: Aber es kann nur verteilt werden, was zunächst erwirtschaftet wurde. In einem Aktivsatz gesagt: Alles, was von Seiten des Staates verteilt werden soll, das muss zunächst mal von den Menschen und den Unternehmen erwirtschaftet werden. Der Staat ist für die Schwachen da – und das ist gut so. Aber damit er das kann, müssen die täglich bei der Arbeit erscheinenden Helden und Heldinnen des Alltags in der aktuellen Corona-Pandemie den überwiegenden Teil ihres Bruttolohns behalten dürfen. Und Gründer:innen, Unternehmer:innen und Erfinder:innen müssen sich und ihre Geschäftsideen entfalten dürfen, ohne gleich von zu viel Bürokratie gegängelt zu werden. Die SPD redet mir zu viel über Verteilung und über neue Sozialabgaben und zu wenig über gute Bedingungen für die Wirtschaft. Dazu passt auch, dass sie der Schuldenbremse skeptisch gegenüber steht und diese aufweichen will.
Auch bei der SPD ist jedes zweite Parteimitglied über 60 Jahre alt. Wie soll man da Politik für die Zukunft machen?
Also, dann vielleicht die Grünen?
Der Eintritt in die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ kommt für mich nicht in Frage wegen deren Identitiätspolitik. Die Idee des Universalisierbarkeits-Tests als Methode, gute von schlechten Normen zu trennen, war der Kern meiner Habilitationschrift.[1] Diese Idee lässt sich aber nicht mit Identitätspolitik unter einen Hut bringen. Identitätspolitik setzt die Selbst- und/oder Fremdzuschreibung von Identitäten voraus, die nicht flüchtig bzw. leichtvergänglich, sondern dauerhaft sind, z.B. eine Ethnie, ein Geschlecht, eine sexuelle Orientierung, einen Grad der (Nicht-)Behinderung usw. Etablierte metanormative Verfahren wie der Rawls’sche Schleier der Unwissenheit oder der Kant'sche Kategorische Imperativ ermutigen uns zu dem Gedankenexperiment, von der eigenen Identität bzw. den eigenen Identitäten zu abstrahieren, um normative Schlüsse über Richtig oder Falsch zu ziehen. In Bezug auf die ethnische Identität zum Beispiel ergibt sich, wenn man sich in den Rawlsschen Urzustand hineindenkt, eine ‚farbenblinde Gesellschaft‘.
Eine der Annahmen von Identitätspolitik ist, dass es unmöglich ist, sich in andere Identitäten hineinzuversetzen. Eine Weiße wird niemals wirklich fühlen können, was eine Schwarze fühlt, sagen die Identitiätspolitiker. Hier kollidieren politische Weltanschauungen. Die verzwickten Debatten von Cornel West bis Helen Pluckrose können aber nicht in diesem Blogbeitrag vertieft werden. Ich halte es jedenfalls für einen schweren Fehler, die Vision einer Gesellschaft, in der die Merkmale wie Geschlecht oder Ethnie irrelevant für die Zuteilung von Gütern angesehen werden, aufzugeben. Eine Gesellschaft, in der die Hautfarbe oder das Geschlecht bei Bewerbungsgesprächen und Ähnlichem so ungefähr die gleiche Rolle spielt wie heute die Schuhgröße eines Menschen, ist dass, was ich will. Etwas was da ist, was aber keine Rolle spielt und nicht thematisiert wird. Eine ‚colourblind society‘ war übrigens auch das Ziel in Martin Luther Kings berühmter Rede „I have a dream“. Das aber das es ist gerade nicht, was Identitätspolitik will. Ein krasses Beispiel für Identitätspolitik aus meinem Bereich, dem Hochschulbereich, ist etwa die Wissenschaftsförderpolitik beim SSHCR Canada, also der kanadischen DFG. Hier wird die sexuelle Orientierung abgefragt (was mich an für sich schon ziemlich sprachlos macht) und entscheidet auch darüber mit, ob ein wissenschaftlicher Antrag gefördert wird oder nicht.
Und die FDP?
Dreht man meine Kritik an CDU, SPD und Grünen um, so spricht für die FDP, dass sie es in diesen Bereichen anders hält. Diese Partei steht für mich für wirtschaftlichen Sachverstand, Ausgabendisziplin, die Einhaltung der Schuldenbremse. Zudem steht die FDP in großen Fußstapfen, denn der politische Liberalismus hat Wechselwirkungen mit dem philosophischen Liberalismus. Ich habe jahrzehntelang die Geschichte des Politischen Denkens erforscht und gelehrt; und Liberale wie Adam Smith und vor allem John Stuart Mill haben mich schon immer fasziniert.
Es gibt Bereiche, in erster Linie die Klimapolitik, wo ich mit der aktuellen FDP Programmatik nicht zufrieden bin, aber 100% Übereinstimmung mit den eigenen Werten bekommt man eben nicht. Meine Entscheidung steht: Ich werde in die FDP eintreten! Hier sind die Schnittmengen am größten.
[1] Jörg Tremmel (2020): Normative Politische Theorie: Wissenschaftstheoretische Grundlagen und Anwendungen am Beispiel des politischen Mordverbots. Wiesbaden: Springer VS, 325 Seiten; ISBN 978-3-658-02729-2